Dienstag, 14. Mai 2013

Ein bisschen Kultur: Nara und Kyoto






















Liest man japanische Studien zur Religionszugehörigkeit, so fällt auf, dass die Summe der Antworten immer mehr ist als die Anzahl der Befragten. Das liegt daran, dass sich die meisten Japaner zwei Religionen zugehörig fühlen - dem Buddhismus und dem Shinto, einer Art pantheistischer Glaubensvorstellung, die davon ausgeht, dass alle Dinge beseelt sind. Da dies auch für Menschen gilt und Buddha nichts anderes war als ein erleuchteter Mensch, müssen sich die zwei Religionen nicht ausschliessen. Ja, die Japaner könnten sogar gleichzeitig Buddhisten und Christen sein, da man Jesus ebenfalls als Buddha interpretieren könnte - nur, dass das wohl umgekehrt nicht so gut ankommen würde.

Die beiden Religionen finden unterschiedlichsten Eingang in den Alltag der Japaner. Buddhismus sei die Religion für's Sterben, hat mir mal jemand gesagt, während Shinto die Religion für's Leben sei. Inwiefern das die gängige Meinung oder diejenige eines Einzelnen ist, kann ich nicht beurteilen. Auf mich persönlich haben die buddhistischen Tempel aber immer viel ehrfürchtiger und schwermütiger gewirkt als die rot gestrichenen Shinto-Schreine, in denen man laut in die Hände klatschen muss, damit die Gottheit auf einen aufmerksam wird.

Einer der bekanntesten Tempel ist der Todai-ji (Bilder oben) in Nara, einer kleinen Stadt in der Nähe von Osaka. Er ist das Zuhause des Grossen Buddhas und gilt als grösstes noch existierendes Holzbauwerk der Welt. Bevor man hinein geht, ist es wie in allen Tempeln üblich, sich Mund und Hände zu waschen oder ein Räucherstäbchen anzuzünden und sich mit dem Rauch zu umgeben - zur Reinigung.

Nara war früher sogar einmal die Hauptstadt Japans, doch nachdem diese nach Kyoto verlegt wurde, verlor es rapide an Bedeutung. Heute liegen alle historischen Bauten ausserhalb der eigentlichen Stadt, und die meisten von ihnen sind in einem riesigen Park zusammengefasst. Man kann stundenlang verwunschenen Wegen entlang spazieren, die mit Moos überwachsenen Steinlaternen betrachten und sich vorstellen, wie das alles vor mehr als einem Jahrtausend ausgesehen haben muss. Ein Gedanke, der mir immer ein paar kleine Schauer über den Rücken rieseln lässt...

Unumstritten die kulturelle Hauptstadt ist aber nach wie vor Kyoto. Rund 400 Jahre lang Sitz des Kaiserhofes ist die Stadt noch heute übersäht von Schlössern, Burgen und natürlich religiösen Stätten. Wer sich Zeit nehmen will, braucht mindestens eine Woche, um alles zu sehen.

Kyoto ist im Übrigen auch einer der wenigen Orte, wo man noch Menschen in traditioneller Kleidung herumlaufen sieht. Obwohl die meisten es wahrscheinlich vor allem wegen der Touristen tun, so hat man doch hin und wieder das Glück, zwischen Gion und Sakyo-ku auf etwas "Echtes" zu stossen. So wurden wir zum Beispiel Zeuge einer buddhistischen Hochzeitszeremonie - eine sehr ernste Angelegenheit, wie ich etwas verwundert festgestellt habe.

Selbst für hartgesottene Sightseer kommt in Kyoto aber irgendwann der Zeitpunkt, wo es einfach zu viel wird. Dies vor allem auch deshalb, weil Japaner fast immer in grösseren Gruppen reisen - langes Anstehen ist die Regel, in den Anlagen wird man schön ordentlich über einen vorgegebenen Pfad gelotst (damit keiner aus der Reihe tanzt) und vor lauter Menschen muss man froh sein, wenn man mal ungestört ein Foto schiessen kann.

Wer also keine Lust oder keine Zeit für die Hardcore-Tour hat, dem sei hier eine Alternative geboten: Beginnend beim Nanzen-ji geht es über den Philosophenweg an einem schmalen Kanal und unter Kirschbäumen entlang zum Ginkaku-ji. Der Spaziergang ist ruhig und gemütlich, und das Beste daran ist, dass man unterwegs stets auf einen Snack oder eine heisse Nudelsuppe einkehren kann.
 
Damit beschliesse ich meinen kurzen Abstecher ins kulturelle und religiöse Leben Japans. Der Vollständigkeit halber sollte ich aber noch anmerken, dass meine Ausführungen arg vereinfacht sind und zahlreiche (auch negative - Stichwort Nationalismus) Aspekte ausser Acht lassen.

Dies nicht, weil ich ein verklärtes Bild von Japan habe, sondern weil dies schlicht nicht der richtige Ort für eine derartige Abhandlung ist. Wer sich vertieft damit auseinandersetzen will, dem empfehle ich einen Abstecher in die Bibliothek des Ostasiatischen Seminars in Zürich.

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